Ihr Pferdegutachter und ö.b.v. Sachverständige für Pferde informiert zum Thema: Konkurrierende Tierhalterhaftung – passiv verhaltenes Pferd verwirklicht keine Tiergefahr

 

Steht ein Pferd Gras fressend auf der Weide, verwirklicht sich dabei nicht die typische Tiergefahr, die Voraussetzung für eine Halterhaftung ist. Mit dieser Klarstellung gab das Landgericht (LG) Lübeck der Schadensersatzklage einer Pferdehalterin gegen die Haftpflichtversicherung eines anderen Pferdehalters statt (Urt. v. 19.08.2025). Vorausgegangen war ein Angriff von Stute Cindy auf Hengst Willy.

Letzterer graste nichtsahnend auf der Weide, als Cindy plötzlich auf ihn zulief und ihn mit der sogenannten Hinterhand so unglücklich trat, dass sein Vorderbein brach. Die tierärztliche Behandlung der Radiusfraktur war teuer: Allein die ersten beiden Behandlungen kosteten knapp 11.000 Euro. Nicht auszuschließen, dass künftig weitere Heilbehandlungskosten hinzukommen werden.

Willys Eigentümerin wollte auf diesen Kosten nicht sitzen bleiben und nahm die Haftpflichtversicherung von Cindys Halter in Anspruch. Die erkannte die Haftung zwar dem Grunde nach an, zahlte aber nur die Hälfte der Kosten. Bei dem Vorfall mit den Pferden habe sich beidseitig eine Tiergefahr verwirklicht, für die der jeweilige Halter hafte, deshalb sei eine hälftige Verteilung der Kosten angemessen. Das LG Lübeck jedoch gab Willys Halterin in vollem Umfang recht. Beim bloßen Rumstehen und Grasfressen verwirkliche sich keine haftungsrelevante Tiergefahr.

Maßgeblich für den Rechtsstreit ist § 833 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die dort geregelte Tierhalterhaftung ist bei sogenannten Luxustieren verschuldensunabhängig, der Tierhalter haftet also grundsätzlich für alle Schäden, die das Tier an Leib, Leben oder Sachen verursacht. Diese sogenannte Gefährdungshaftung ist mit der Haftung des Kfz-Halters vergleichbar. Ebenso wie Kraftfahrzeuge können Tiere schwere Schäden verursachen, ohne dass der Halter im Einzelfall einen Fehler gemacht hat. Der Halter soll dann trotzdem haften, weil er es war, der das Tier in Kontakt mit der Außenwelt gebracht hat. Einschränkende Voraussetzung ist aber, dass sich dabei die typische Tiergefahr realisiert.

Grundsätzlich wird diese Gefahr weit ausgelegt. Denn die Haftung des Halters gegenüber Dritten für das unberechenbare, der menschlichen Kontrolle entzogene Tierverhalten soll ja gerade umfassend sein. Streiten sich nach einem Tierunfall aber mehrere Halter untereinander, ist die beidseitig umfassende Haftung auf die Ansprüche der jeweils anderen anzurechnen. Dies folgt der Idee des Mitverschuldens analog § 254 BGB.

Damit argumentierte die Haftpflichtversicherung auch im vorliegenden Fall. Hätten beide Pferde aktiv miteinander gekämpft, hätte dies auch zum Erfolg geführt. Hier war Willy aber passiv geblieben, sodass sich die Frage stellte, ob die bloße Anwesenheit bzw. das bloße Pferdsein für eine Mithaftung ausreicht. Das LG verneinte das.

Die Versicherung hatte argumentiert, dass jedes Pferd ein unberechenbares Tier sei und deshalb das bloße Stehen auf derselben Weide wie ein anderes Pferd schon ein Risiko begründen könne. Diese Argumentation verwarf das LG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich nur dann eine Tiergefahr im Rechtssinne verwirklicht, wenn eine eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Gemeint sind damit aktive tierische Bewegungen wie Ausschlagen, Losrennen oder Anrempeln, die das Schadensgeschehen prägen. Genau daran fehlte es hier aber gerade. Nach den Feststellungen des LG stand Willy bloß auf der Weide und graste, als Cindy ihn attackierte.

Auch mit einem zweiten Argument konnte die Versicherung nicht durchdringen. Sie hatte behauptet, bei dem Vorfall habe es sich um Rangauseinandersetzungen gehalten. Dabei klärten die Tiere ihre Rangordnung durch Drohen, Wegschicken oder eben auch mal Tritte. Dabei hatte die Versicherung auf ein Urteil des LG Göttingen aus dem Jahr 2007 verwiesen. Danach ist die von dem geschädigten Pferd ausgehende Tiergefahr anzurechnen, wenn nicht geklärt werden kann, welches der Pferde die Rangauseinandersetzung auslöste.

Hier liege der Fall anders, entschied das LG Lübeck. Dem Göttinger Fall habe unstreitig eine Auseinandersetzung zugrunde gelegen, an der beide Pferde aktiv beteiligt waren. Das sei hier gerade anders. Es habe vor dem Angriff von Cindy auf Willy gerade keinerlei Hinweise auf eine Auseinandersetzung zwischen den Tieren gegeben.

Quelle LTO-